Schweizer wollen Grundversicherungsleistungen nicht reduzieren
Eine Comparis-Umfrage zeigt: Trotz hoher Prämien wollen Schweizer die Leistungen der Grundversicherung nicht kürzen – und nehmen sogar Lücken wahr.

05.08.2025

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1. Lücken in der obligatorischen Krankenversicherung
Schweizerinnen und Schweizer haben das Gefühl, dass die obligatorische Grundversicherung nicht alle Bedürfnisse abdeckt. Das zeigt eine Umfrage von Comparis. Knapp 40 Prozent der befragten Personen geben an, Lücken in der Grundversicherung wahrzunehmen.
Dabei sehen Personen von 36 bis 55 Jahren (45,9 Prozent) öfter Lücken in den gedeckten Leistungen als Personen ab 56 Jahren (31,9 Prozent). Auch regional zeigen sich Unterschiede: Die Hälfte der befragten Personen in der Westschweiz empfinden den Schutz der Grundversicherung als unzureichend – in der Deutschschweiz sind es nur 35 Prozent.
Obwohl die Leistungen der Grundversicherung in der letzten Dekade immer weiter ausgebaut wurden und steigende Prämien verursacht haben, scheint ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung nicht zufrieden zu sein. Das ist ein Widerspruch.
Haushalte mit Kindern (45,8 Prozent) nehmen Versorgungslücken häufiger wahr als Haushalte ohne Kinder (37 Prozent). Gemäss Comparis-Krankenkassenexperte Felix Schneuwly liegt das wohl an den nicht durch die Grundversicherung gedeckten Zahnstellungskorrekturen.
2. Leistungen der Grundversicherung sollen nicht gekürzt werden – trotz der hohen Prämien
Die Mehrheit von 51,8 Prozent der Befragten lehnt es ausserdem ab, Leistungen aus der Grundversicherung auszulagern. Besonders Frauen (56,4 Prozent) und die Altersgruppe der über 56-Jährigen (60,3 Prozent) möchten die Leistungen beibehalten, wie sie im Moment sind.
Suchterkrankungen auslagern, innovative Krebstherapien behalten
Für die Mehrheit der Befürwortenden der Auslagerung steht bei Suchterkrankungen die Eigenverantwortung im Vordergrund. So würde besonders die Generation der über 56-Jährigen Behandlungen aus der Grundversicherung auslagern, die im Zusammenhang mit zum Beispiel Alkohol- oder Nikotinsucht stehen.
Aber: Die Auslagerung innovativer Krebstherapien findet auch bei den Befürwortenden keine Mehrheit. Besonders die Befragten der Altersgruppe über 56 Jahre lehnen die Leistungsbeschränkung in diesem Bereich ab.
Der Grundsatz der Solidarität wird hochgehalten, aber die Definition, was solidarisch finanziert werden soll, verschiebt sich. Ältere Generationen scheinen Suchterkrankungen eher als Lifestyle-Problem zu betrachten, dessen Kosten nicht von der Allgemeinheit getragen werden sollten. Bei klar schicksalhaften Erkrankungen wie Krebs hingegen ist der Solidaritätsgedanke unumstösslich. Dass Jüngere und Gutverdienende einer Auslagerung generell offener gegenüberstehen, bleibt aber ein Warnsignal für eine schleichende Erosion des Solidaritätsprinzips.
3. Zusatzversicherungen sind beliebt, aber nicht alle können sie sich leisten
Mehr als drei Viertel (78,8 Prozent) der Befragten haben mindestens eine Zusatzversicherung abgeschlossen. 47,5 Prozent möchten den Schutz angesichts der gefühlten Lücken ausbauen.
Besonders hoch ist das Interesse an Zusatzversicherungen bei
den 18- bis 35-Jährigen (50,3 Prozent)
Personen mit hohem Bildungsniveau (53 Prozent)
Haushalten mit einem Einkommen über 8’000 Franken pro Monat (58,9 Prozent)
Befragte in Haushalten bis 4’000 Franken Bruttoeinkommen im Monat zeigen mit 32,8 Prozent weniger Interesse am Abschluss einer Zusatzversicherung. Comparis-Krankenkassenexperte Felix Schneuwly sieht die grösste Hürde bei der Höhe der Prämien.
Gutverdienende können sich die gewünschte Sicherheit leisten, während Personen mit tiefem Einkommen trotz Interesse oft auf über die Grundversicherung hinausgehende Versicherungsdeckungen verzichten müssen. Das nährt die Debatte um eine Zweiklassenmedizin.
4. Komplementärmedizin und Komfort wichtiger als freie Arztwahl
Am wichtigsten sind den Befragten Zusatzleistungen für mehr Komfort im Spital. Danach folgen alternative Heilmethoden, etwa Naturheilkunde und Homöopathie. An dritter Stelle kommen Leistungen wie Brillen und Kontaktlinsen. Dabei ist der jüngsten Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren die Sehhilfen-Leistung wichtiger als Personen von 36 bis 55 Jahren.
Zahnbehandlungen liegen bei der Wichtigkeit von Zusatzleistungen auf dem vierten Platz. Sie sind den Schweizerinnen und Schweizern wichtiger, je älter sie werden. Als eher unwichtig gelten:
Behandlung in jedem Spital der Welt
Physiotherapie und Rehabilitation
Rettung und Bergung
Spital mit freier Arzt- und Terminwahl bei Wahleingriffen
Laut Felix Schneuwly zeigt sich hier ein typisches Wohlstandsphänomen: «Es ist nicht mehr die Frage, dass man überhaupt gesund wird, sondern mit welchem Komfort. Die Spitäler haben auf dieses Bedürfnis mit dem Ausbau des Hotelkomforts reagiert. Zusätzlich wird ohne Zusatzversicherungsdeckung immer öfter ambulant operiert, sodass der Unterschied zwischen Zusatzversicherten und Grundversicherten zumindest diesbezüglich öfter entfällt.»
5. Versicherte lehnen risikobasierte Prämien für Zusatzversicherungen ab
Die Haupthürde für den Abschluss einer Zusatzversicherung sind die hohen Prämien. Mit 62,1 Prozent der Antworten hebt sich der Faktor von anderen Hürden ab. Auf dem zweiten Platz folgen Gesundheitsprüfungen und Vorerkrankungen mit 32,3 Prozent. Aber: Auch sie sind relevante Faktoren, die die Befragten vom Abschluss einer Zusatzversicherung abhalten.
Befragte ohne Zusatzversicherung sehen die Gesundheitsprüfung mit 34,9 Prozent als grosses Hindernis für den Abschluss. Aber: Die Bereitschaft der Befragten dieser Gruppe zur Zahlung einer Risikoprämie ist gering. Sie verzichten lieber auf den Versicherungsschutz, statt eine höhere und risikogerechte Prämie zu zahlen.
Dieser Artikel wurde erstmals produziert am 05.08.2025