EMDR: Was ist Eye Movement Desensitization and Reprocessing?

EMDR ist wissenschaftlich anerkannt und wird in der Psychotherapie verwendet. Mit Hilfe von Augenbewegungen wird der Informationsverarbeitungsprozess im Gehirn unterstützt.Comparis erklärt die Methode.

julia strachowitz foto

Julia Strachowitz

17.02.2022

Grossaufnahme von einem Auge

Unsplash

EMDR ist die Abkürzung für Eye Movement Desensitization and Reprocessing. Was verbirgt sich hinter dieser Therapieform? Wirkt sie?

1.Was passiert bei einem Trauma?
2.Was ist EMDR?
3.Wie läuft eine EMDR-Therapie ab?
4.Wo wird EMDR eingesetzt?
5.Wie wirkt EMDR?
6.Wie lange dauert eine EMDR-Therapie?
7.Wer darf EMDR anwenden?

Was passiert bei einem Trauma?

Traumatisierende Erlebnisse (wie z.B. ein Autounfall) werden im Nervensystem in Form von Bildern, Geräuschen, Gedanken, Gefühlen und Körperreaktionen abgespeichert. Normale Erlebnisse im Alltag verarbeitet das Gehirn korrekt. Bei einer Traumatisierung entsteht jedoch eine Blockade im Informationsverarbeitungsprozess. Die belastende Information «bleibt stecken» und ein «Traumanetzwerk» entsteht. Die Sinneseindrücke werden dort fragmentiert gespeichert. Bilder, Geräusche oder Gerüche existieren getrennt vom Kontext der Erinnerung. Harmlose Alltagssituationen können die Erfahrung an das erlebte Trauma wieder aufleben lassen. So kann das entfernte Quietschen eines Reifens das Nervensystem einer Person aktivieren, die vor einigen Monaten einen Autounfall hatte. Das Geräusch löst bei ihr Angst, Kontrollverlust und Hilflosigkeit aus. All das, was sie damals am Unfallort empfunden hat, wird plötzlich präsent. Solange die Traumainhalte fragmentiert gespeichert sind, kann das Gehirn sie nicht verarbeiten. Das Trauma kann spontan in vielen Situationen aktiviert werden. Das ist extrem belastend für die Betroffenen. Viele Alltagssituationen werden für sie zur Qual. 

Was ist EMDR?

Eye Movement Desensitization and Reprocessing (Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen) wurde von der amerikanischen Psychologin Francine Shapiro entwickelt. Heute ist EMDR eine anerkannte Psychotherapiemethode. Sie wird häufig im Rahmen einer Traumatherapie angewandt. Mit ihrer Hilfe lassen sich traumatisierende Erlebnisse verarbeiten.

EMDR bedient sich der natürlichen Heilkraft des Körpers. Im sogenannten REM-Schlaf bewegt jeder Mensch seine Augen von rechts nach links. Diese Augenbewegungen helfen dem Gehirn dabei, die Informationen des Tages im Schlaf zu verarbeiten. In einer EMDR-Therapie werden diese Augenbewegungen bewusst stimuliert, während die Erinnerung an das Trauma erneut aktiviert wird. Dadurch kann das Gehirn die fragmentierten Traumainhalte integrieren. Der Mechanismus der Augenbewegungen während einer EMDR-Therapie wird als ein Erfolgsfaktor angenommen. Studien zeigen jedoch, dass die Augen in einer solchen Therapie nicht zwingend wandern müssen. Die Traumatherapie funktioniert auch mit festem Fokus.

Wie läuft eine EMDR-Therapie ab?

Die EMDR-Behandlung hat ein standardisiertes Ablaufschema mit acht Schritten:

  1. Anamnese: Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten oder der Patientin wird eine Diagnose erstellt und ein Behandlungsplan festgelegt.

  2. Vorbereitung: Behandlungsplan, Vorgehen und Risiken werden besprochen. Die kranke Person wird mit Entspannungsübungen stabilisiert.

  3. Bewertung: Die belastende Erinnerung wird auf einer Skala gemäss Intensivität bewertet. Auftretende Sinneseindrücke und Körperempfindungen werden beschrieben und eingeordnet.

  4. Neuverarbeitung: Die verarbeitende Phase ist das zentrale Element des EMDR. Zu Beginn wird die erkrankte Person gebeten, sich auf das schwierige Erlebnis zu konzentrieren (z.B. den Autounfall). Alle visuellen Eindrücke, Gefühle und Wahrnehmungen werden zugelassen und ausgesprochen. Der Therapierende bittet nun den Patienten oder die Patientin, die Augen zu bewegen. Auch wenn die Funktionsweise noch nicht vollständig erforscht ist, weiss man heute, dass die Augenbewegungen für die Informationsverarbeitung zuständig sind. In der Therapie wird dieser Prozess genutzt. Statt im traumatischen Zustand von damals gefangen zu sein («Ich sterbe an der Unfallstelle»), erfährt die kranke Person nach mehrmaliger Stimulation eine positive Kognition («Ich habe den Unfall überlebt»). Die neue Erinnerung wird in das bestehende Informationssystem integriert.

  5. Verankerung: Die positive Kognition («Ich habe den Unfall überlebt») wird wiederholt. Der Patient oder die Patientin folgt erneut den Handbewegungen des EMDR-Therapierenden.

  6. Körpertest: Der Patient oder die Patientin spürt in den eigenen Körper. Gibt es angenehme oder unangenehme Empfindungen? Erst wenn der Körper ganz entspannt ist, wurde die neue positive Erkenntnis korrekt verarbeitet und gespeichert.

  7. Abschluss: Gemachte Erfahrungen werden besprochen und weitere Verhaltensmassnahmen vermittelt.

  8. Überprüfung und Follow-up: In einer neuen Sitzung wird überprüft, ob die positive Änderung stabil geblieben ist. Danach kann ein neues Thema angegangen werden.

Wo wird EMDR eingesetzt?

EMDR wurde zu Beginn vor allem für posttraumatische Belastungsstörungen eingesetzt. In den letzten Jahren hat sich die Methode aber auch im Einsatz weiterer psychischer Erkrankungen bewährt. Gemäss einer *Umfrage wurde EMDR als ergänzendes Therapieverfahren bei Depression in psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland in 37% der Fälle eingesetzt. Auch bei Angst- und Panikstörungen, chronischen Schmerzen, Substanzabhängigkeiten sowie bei Entwicklungs- und Verhaltensstörungen von Kindern kommt EMDR zum Einsatz. EMDR wird zudem häufig in Zusammenhang mit Traumatherapie genannt. Erfahrene Therapierende helfen den Betroffenen dabei, das erlebte Trauma zu verarbeiten.

Wie wirkt EMDR?

EMDR setzt wie die Verhaltenstherapie bei der Gegenkonditionierung an. Die Behandlungsperson wird in einem sicheren Rahmen wiederholt der belastenden Erinnerung ausgesetzt. Dadurch wird die Reaktion auf die Belastung abgeschwächt. Das Hirn wird durch die durchgeführten Augenbewegungen stimuliert. Die Informationsverarbeitung wird beschleunigt. Das hat Ähnlichkeit zur Verarbeitung von Tageserinnerungen im Schlaf. Studien belegen, dass die Hirnstimulation zu einer Entspannung führt. Der Kontext zum Hier und Jetzt kann durch die Augenbewegungen behalten werden. Dadurch gewinnt die Behandlungsperson die nötige Distanz zur belastenden Erinnerung.

Mithilfe von bildgebenden Verfahren lässt sich untersuchen, wie EMDR auf das Gehirn wirkt. Vor und nach EMDR-Sitzungen wird das Gehirn auf seine Aktivitäten untersucht. Der Teil des Gehirns, der die Umgebung nach gefährlichen Reizen absucht, wird inaktiv. Die Fähigkeit steigt, reale von imaginären Gefahren zu unterscheiden. Traumatisierte Personen können dadurch in der Gegenwart ankommen. Sie werden nicht länger von ihren belastenden Erinnerungen im Alltag geplagt.

Die Wirksamkeit von EMDR ist wissenschaftlich gut untersucht und belegt. Empirisch konnte bisher aber noch nicht eindeutig geklärt werden, warum die Therapie wirkt. Der Wirkungsmechanismus wird weiter erforscht.

Wie lange dauert eine EMDR-Therapie?

Bei einer  einzelnen Traumatisierung hat (z.B. durch einen Unfall oder sexuellen Übergriff) braucht es nur wenige Sitzungen. Wer über einen längeren Zeitraum traumatisiert wurde (z.B. durch anhaltende Gewalterfahrungen in Beziehungen), benötigt häufig Wochen oder Monate für die Verarbeitung. Der Zeitraum ist abhängig vom Schweregrad der Traumatisierung sowie den eigenen Ressourcen zur Verarbeitung. Eine EMDR-Therapie setzt zu Beginn bei frühen traumatischen Erfahrungen an (z.B. in der Kindheit) und arbeitet sich zu den zuletzt gemachten Erlebnissen vor (z.B. kürzlich erlebter Autounfall).

Wer darf EMDR anwenden?

Da EMDR eine komplexe Methode ist, sollte sie nur von eidgenössisch anerkannten Psychotherapiefachleuten durchgeführt werden, die eine EMDR-Ausbildung abgeschlossen haben. Die EMDR-Ausbildung sollte zudem durch einen klinischen oder wissenschaftlichen Fachverband geprüft sein. Die Fachverbände EMDR Europa und EMDR Schweiz unterliegen strengen Anforderungen, die regelmässig überprüft werden.

Hier finden Sie eine Liste mit zertifizierten EMDR-Therapiepersonen. Dort können Sie auch nach verschiedenen Kriterien filtern (z.B. Geschlecht, Sprache, Kanton).

Quellen

Das könnte Sie auch interessieren:

Online-Psychotherapie: Wo finde ich Angebote?

Wie funktioniert die Gestalttherapie?

Herzlich willkommen! Sie sind jetzt angemeldet.
Zum Benutzerkonto